Foto: Friedrich Rothenberg
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Rüggeberg

Rüggeberg, ein Grenzdorf

Hart an der Grenze zum Bergischen Land (Rheinland), etwa zehn Kilometer süd­östlich von der Schwebebahn-Stadt Wuppertal entfernt, liegt Rüggeberg, dessen Name aus dem Alt­hoch­deutschen Roycheberg abgeleitet wurde. Dieser ursprüngliche Name, der „Krähenberg“ oder „rauher Berg“ bedeuten könnte, findet sich bereits in Steuer­erhebungs­listen aus dem Jahr 1315, jedoch kann man davon ausgehen, dass erste Siedler schon im 6. bis 7. Jahrhundert aus den östlichen germanischen Gebieten, z. B. Sachsen, in diese waldreiche und hügelige Region kamen.

Karte mit umgebenden Bauernschaften aus dem Jahr 1788. Im Südwesten liegt Rüggeberg.

Bevor Rüggeberg zur Ortsbezeichnung der vielen auf -ingen oder -inghausen endenden Gehöfte wurde, bestanden die Bauernschaften Schwefling­hausen und Mühling­hausen dort bereits über viele Jahr­hunderte. Es heißt auch, dass der Franken-Kaiser Karl der Große hier seinen ausgedienten Soldaten Land geschenkt hatte, um im Grenz­bereich zwischen seinem Einflußgebiet und dem der Sachsen, die ja damals noch „heidnisch“ waren, seine Macht zu festigen.

Ungefähr 500 Jahre später verlief abermals eine Grenze durch dieses Gebiet. Dieses Mal jedoch zwischen den Grafschaften Mark und Berg, welche zunächst vereint gegen die Kölner Erzbischöfe agierten, sich jedoch ab 1324 entzweiten und gar feindlich gegenüberstanden. Zeugen dieser Konfrontation zwischen den Grafen von der Mark und derer von Berg sind die heute noch sichtbaren, sogenannten Landwehren (Erdwälle und Gräben), die sich südlich vom Ortsrand kilometerweit durch die Wälder, teils auch noch durch Felder und Weiden ziehen.

Abbildung des Haferkastens an der Hesterberger Straße.

Auf den von den Siedlern gerodeten Flächen wurde sowohl Ackerbau betrieben, als auch Weiden für Vieh angelegt. Der Boden an den teilweise steilen Hängen ist jedoch nicht sehr fruchtbar und die Land­arbeit sehr mühselig, weshalb im Laufe der Zeit mehr und mehr auf Milch­erzeugung gesetzt wurde. Noch sichtbare Zeugen des Ackerbaus sind die aus schweren Eichen­bohlen gezimmerten Kornspeicher, auch Haferkästen genannt, die auf fast allen größeren Gehöften abseits des Hauptgebäudes standen und nicht nur der Aufbewahrung des Getreides, insbesondere des Saatguts, sondern notfalls auch dem Schutz der Bewohner vor Übergriffen marodierender Banden und als Notquartier nach Bränden dienten.

Da die Landwirtschaft nicht allzu ergiebig und immer witterungs­abhängig war, suchte man schon früh nach zusätzlichem Erwerb. Im 15. Jahrhundert begann man, die vorhandenen Naturschätze – Holz, Wasser und Eisenerz – zu nutzen, indem man das Erz aus den Berghängen holte, aus dem reichlich vorhandenem Holz in Meilern Holzkohle herstellte und die Kraft des Wassers nutzte.

In sogenannten Rennfeueröfen wurde das Eisenerz mittels Holzkohle erschmolzen und dann in den mit Wasserrädern angetriebenen Hämmern zu groben Eisenstäben oder Platten geschmiedet. Aus diesen wurden dann in weiteren Arbeitsgängen allerlei Gerätschaften und Werkzeuge hergestellt. Man schmiedete Hämmer, Ambosse, Sensen, Sicheln, Pflugscharen, Zangen, Meißel, Beschläge und vieles mehr. In den ebenfalls mit Wasserkraft betriebenen Schleifkotten wurden die Produkte verfeinert. Auf den Höhen, wo keine Wasserkraft zur Verfügung stand, wurden in kleinen Schmitten, die sich bei fast jedem Gehöft fanden, kleinere Eisenteile wie Nägel, Schrauben und Schlösser hergestellt.

Da man weit mehr produzierte als man selbst verbrauchte, mussten Kaufleute gefunden werden, die die Waren an den Mann, und damit endlich das bitter benötigte Geld in die Kassen der Produzenten brachten. Es fanden sich alsbald tüchtige Händler, die für die produzierten Waren Kunden in ganz Deutschland und auch im Ausland hatten, und schon entwickelte sich ein schwunghafter Handel. Die Kaufleute nahmen zunächst die Waren auf Lager (in Kommission) und rechneten mit den Herstellern erst ab, nachdem sie die Waren auf ihren teilweise weiten Geschäftsreisen verkauft hatten. Diese sogenannten Kommissionäre, bzw. deren Häuser und Büros prägten über zwei bis drei Jahrhunderte das Rüggeberger Ortsbild und machten unser Dorf zu einem weit bekannten Handelsort, ähnlich den Hanse-Städten.

Rüggeberg, ein Grenzdorf zwischen Landwirtschaft, Industrie und Handel, ist heute ein Teil der 1949 gegründeten Stadt Ennepetal.

Rüggeberg, ein Kirchdorf

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Dass die Bewohner unserer ländlichen Region vor 1798 keine eigene Kirche hatten, das gefiel ihnen gar nicht. Zu jedem Gottesdienst, zu Taufen, Trauungen und Beerdigungen mussten sie den wei­ten Weg nach Schwelm machen, wo bereits im Jahre 1085 eine Kirche urkundlich erwähnt wird. Das Kirchspiel Schwelm umfasste um 1700 noch elf Bauerschaften, von Ost-Barmen (Stadtteil von Wuppertal) bis Voerde (Stadtteil von Ennepetal) im Osten sowie Hiddinghausen (Sprockhövel) im Norden bis Schweflinghausen im Süden.

Die Entfernung der entlegensten Gehöfte in der Bauerschaft Schweflinghausen bis nach Schwelm beträgt ungefähr 12 Kilometer. Für einen Hin- und Rückweg musste man also bei normaler Witterung 4 bis 5 Stunden Zeit aufwenden. Bei Schlechtwetter, vor allem im Winter, dürfte der Zeitaufwand noch viel größer gewesen sein, zumal die Wege damals noch in einem miserablen Zustand waren. Alte, kranke und gebrechliche Menschen konnten diese Strapazen schwerlich auf sich nehmen und waren so vom Besuch der Gottes­dienste, wie auch der Feier des Heiligen Abendmahls ausgeschlos­sen. Fehden und Kleinkriege zwischen den damaligen Landesherren machten die Gegend obendrein unsicher. Überfälle mit Raub und auch Totschlag mehrten bei den Landbewohnern die Angst, den wei­ten Weg zur Kirche nach Schwelm zu machen.

Trotzdem haben sich immer wieder Bauern und Bürger unserer Gemeinde in den Dienst der Kirche gestellt und im Kirchenrat mitgearbeitet. In den Kirchen­büchern des 16. und 17. Jahrhunderts findet man wiederholt Namen von Bauern aus der Umgebung von Rüggeberg, wie z. B. Johann zu Mühlinghausen, Nolde zu Ravenschlag, J. Hermann zur Hülsenbecke, Johann Vorwerk, Joh. Ebinghaus oder Melchior und Caspar Wittenstein.

Im 30-jährigen Krieg (1618 – 1648), als die Umgebung wegen maro­dierender Banden sehr gefährlich war, entschlossen sich die Rüggeberger (Bauerschaft Mühlinghausen und Schweflinghausen) kurzerhand, zumindest die Beerdigungen im Dorf vorzunehmen. Die erste Beerdigung auf dem heute noch erhaltenen Friedhof datiert von 1636. Dieser Entschluss kann wohl als erstes Anzeichen dafür gewertet werden, sich von der Mutterkirche in Schwelm zu trennen.

Da es in den beiden hiesigen Bauerschaften auch keine Schulen gab, beantragten die Bewohner im Jahre 1705 zum ersten Mal beim Konsistorium in Schwelm, die Anstellung eines Schul­meisters zu gestatten, der dann noch sonntagnachmittags im Katechismus unterrichten solle. Diese Vergünstigung war nach der Klevisch-Märkischen Kirchenordnung von 1687 den weit abgelegenen Bauerschaften zugebilligt worden – natürlich auf eigene Kosten und in selbst errichteten Gebäuden. Das Schwelmer Kirchen-Konsistorium erkannte wohl gleich die hinter dem Antrag steckende Absicht, nämlich nicht nur einen Lehrer für die Kinder, sondern auch einen Prediger anzuwerben, und lehnte den Antrag ab.

Die hartnäckigen Bauern ließen jedoch nicht nach. Zehn Jahre später folg­te ein neuer Antrag dahingehend, dass man für die Kinder einen Schuldiener einstellen dürfe, der in der Woche Lesen, Schreiben, Rechnen und Christentum lehren, jedoch an Sonn- und Feiertagen einen Sermon (eine Predigt) und eine Kinderlehre halten möge. Genehmigt wurde zwar den Bau eines Schulhauses und die Anstellung eines Schuldieners, jedoch durfte dieser keine Predigten halten, weil das ein Recht der Geistlichen sei und außerdem den „Armen“ im Kirchspiel Schwelm schaden würde.

Das Schulhaus, aus dem kurz darauf ein „Kirchschulhaus“ wurde, ist in den Jahren 1717 und 1718 in der Mitte der beiden Bauerschaf­ten Schweflinghausen und Mühlinghausen auf Rüggeberg erbaut worden, und steht noch heute. Rüggeberg ist seitdem Zentrum der umliegenden Bauerschaften. In kluger Voraussicht der kommenden Abtrennung von Schwelm versah man das „Kirchschulhaus“ auch mit einem Dachreiter und einer Glocke.

Trotz massiven Widerstands der Schwelmer hielt der damalige Lehrer und Kandidat G. P. Schmitt am 2. Weihnachtstag des Jahres 1721 in diesem „Kirchschulhaus“ am Rüggeberger Marktplatz einen Gottesdienst mit Predigt, der ihm einen scharfen Verweis vom Schwelmer Konsistorium einbrachte. Die Rüggeberger ließen sich jedoch durch solche Maßregelungen nicht davon abhalten, auch wei­terhin Gottesdienste im Dorf abzuhalten und erhielten von der Regierung in Kleve 1726 nach einem Rechtsstreit mit den Schwelmern endlich die Erlaubnis, an Sonn- und Feiertagen nachmittags einen Gottesdienst abzuhalten.


Die Predigt durfte aber nur von einem geprüften „Kandidaten“ gehalten werden, der den lutherischen Geistlichen in Schwelm unterstand. Das war schon ein halber Sieg! Der erste geprüfte und als geeignet befundene Kandidat war Franz Hölterhoff aus Lennep, der von 1726 bis 1733 das Amt inne hatte.

Als Hölterhoff am ersten Weihnachtstag 1729 und ab 1730 regelmäßig vormit­tags predigte, wurde ihm das wiederum vom Schwelmer Konsis­torium streng untersagt. Er reagierte darauf ziemlich ausfallend und schalt auf die geistliche Obrigkeit. Die „Rüggeberger Dickköpfe“ wa­ren danach in der Schwelmer Mutterkirche nicht sehr beliebt und so wurden die immer wieder vorgetragenen Bitten auf Loslösung von der Schwelmer Kirche ignoriert. Franz Hölterhoff folgten noch 5 Kandidaten, die sowohl Schuldiener (Lehrer) als auch Prediger waren. Unter diesen ist besonders Friedrich Christoph Baak zu erwähnen, der fast 48 Jahre lang in Rüggeberg seinen Dienst tat.

Den wohl entscheidenden Schritt zur Separation leiteten 1785 die vier Rüggeberger Bürger Joh. Diedr. Dresel, Joh. Caspar Hesterberg, Joh. Michael Karte und Joh. Peter Wirminghaus ein, die in einer Eingabe an die königlich-preußische Regierung in Kleve plausible Begründungen lieferten, welche zwar nicht sofort, aber doch nach fast fünf Jahren beantwortet wurden, indem ein königlicher Kommissar an Ort und Stelle den Antrag prüfte.

Er stellte wohl fest, dass die örtlichen Verhältnisse, der Zustand der Wege, und die Größe der christlichen Gemeinde für eine Rüggeberger Separation von Schwelm ausreichten, und empfahl seiner Regierung die Zustimmung. In dem Untersuchungsprotokoll beschreibt der königliche Kommissar unter anderem die Größe und die Ausstattung des „Kirchschulhauses“, und man erfährt, dass dieses im Erdgeschoss 165, und auf der umlaufenden Empore 130 bis 150 Sitzplätze hatte. Eine Orgel und eine Kanzel gehörten auch schon zur Ausstattung.

Am 10. August 1798 erteilte dann endlich die königlich preussische Regierung die Erlaubnis, sich von der Lutherischen Schwelmer Muttergemeinde zu trennen, und somit eine eigenständige Kirchengemeinde mit Pfarrer zu bilden.

Wegen der immer größer werdenden Zahl der Schüler hatte man schon einige Jahre vorher die Trennung von Schul- und Predigtamt beschlossen. Das Gebiet der neuen Rüggeberger Kirchengemeinde umfasste das Gebiet zwischen den Flüsschen Heilenbecke und Ennepe, erstreckte sich im Norden bis Homberge und im Süden bis Schweflinghausen und Burg an der Ennepe. Nun war man endlich selbständig und musste nicht mehr den weiten und oft beschwer­lichen Weg nach Schwelm gehen.

Dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt gerade kein Prediger in Rüggeberg seinen Dienst tat, sondern Aushilfen aus Remlingrade in Anspruch genommen werden mussten, ist schon ein Kuriosum. Erst im Mai 1799 wurde der erste hauptamtliche Pfarrer namens Johan Christoph Wilhelm Brinkdöpke aus Haspe vom märkischen Generalinspektor, Pfarrer Dahlenkamp im Rüggeberger „Kirchschulhaus“ ordiniert. Er wohnte auf dem Gut Rutenbecke zur Miete, denn ein Pfarrhaus gab es noch nicht.

Die Kirchengemeinde wuchs ständig und bald wurde das Kirchschulhaus zu klein für die zahlreiche Gottesdienstbesucher, so dass man sich entschloss, auf dem knapp 500 qm großen gegen­überliegenden Grundstück – eine Schenkung von Landwirt Joh. Eberhard Jellinghaus – eine neue Kirche zu bauen. Im Jahre 1825 wurde der Grundstein dazu gelegt. Fast alle Rüggeberger trugen mit Spenden oder Hand- und Spanndiensten zum Bau des neuen Gotteshauses, das inzwischen mehrfach renoviert wurde, bei.